Auch wenn sie im Vergleich zur Basilika Sant’Eufemia kleiner ist, ist Santa Maria delle Grazie ein sehr bedeutendes Gotteshaus und ihr Besuch ist ein fester Bestandteil des frühchristlichen Grado-Rundgangs.
Das äußere Erscheinungsbild ist eher schlicht, aber das dreibogige Fenster im oberen Teil der Fassade, das mit Säulen und Kapitellen aus der Römerzeit stammt, ist beeindruckend.
Diese kleine Basilika hat, im Vergleich zu den ältesten christlichen Gotteshäusern an der oberen Adria, eine ungewöhnliche architektonische Entwicklung. Im Inneren stellt man einzigartige Details von großem historisch-künstlerischem Interesse fest: nach Ansicht einiger Experten ist die Apsis von Santa Maria delle Grazie in syrischem Stil erbaut. Auffallend sind die zwei Bodenhöhen mit etwa einem Meter Unterschied, die während der Restaurierungsarbeiten der 20er Jahre rekonstruiert wurden: die Ebenen des Mittelschiffs und des rechten Kirchenschiffs bestätigen die zwei Bauphasen.
Vor der Entstehung der beiden Kirchen gab es jedoch eine rechteckige Aula mit einem wasserdichten Estrichmörtelboden (cocciopesto genannt). Dem späten 4. Jhdt. zugeordnet war sie wahrscheinlich die erste christliche Kultstätte des antiken Gradus. Mitte des 5. Jahrhunderts wurde die erste vollständige Basilika, die der untersten Etagenfläche entspricht, errichtet. Sie wird nach einem Brand für einige Zeit verfallen gelassen und dann in das große Bauprojekt, das der Patriarch Elija in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts beauftragte, eingegliedert. In dieser letzten Phase wurde der Boden erhöht. Einige Elemente der Basilika sind noch vorhanden, wie das aktuelle rechte Kirchenschiff, in dem ein schöner Teil des Fußbodens mit geometrischen Verzierungen, großen stilisierten Blumen mit vier Blättern und Inschriften von Stiftern erhalten geblieben ist. Ein Großteil der Apsis mit den zweibogigen Fenstern, die sogenannte Kathedrale, die Stühle und die Presbyterialbank aus Stein und Marmor stammen aus dem 5. Jahrhundert.
Wir müssen uns vorstellen, dass die hydrogeologische Situation des gesamten Gebietes in der Antike völlig anders war. Angesichts der Beschaffenheit des Untergrundes wäre es undenkbar, wenn nicht gar unmöglich gewesen, unterirdische Krypten zu errichten. Ähnlich wie bei der Basilika Santa Eufemia entstanden links und rechts von der Apsis die Prothesis und das Diakonikon, die in S. Maria delle Grazie individuell miteinander verbunden sind. Diese beiden kleinen Seitenräume wurden von den Gläubigen genutzt, um die Spenden zu hinterlegen, sie dienten für die Vorbereitung der liturgischen Feiern und zur Aufbewahrung der heiligen Reliquien.
Aus der «Elianischen» Periode stammen die Säulen, fünf auf der rechten und ebenso viele auf der linken Seite, mit den schönen Kapitellen, die hauptsächlich aus architektonischen Teilen von älteren Gebäuden hergestellt sind. Der Altar ist zeitgenössisch, während der Zaun teilweise mit authentischen Teilen erneuert wurde: besonders bedeutend sind die abgebildeten Tiere, fast sicher das Werk von Meistern aus Aquileia, die im gradeser Castrum lebten. Die Symbolik der Tauben, der Pfaue und Lämmer ist für uns heute vielleicht nicht sofort verständlich, während sie früher sehr verbreitet und wichtig war. Vor allem in der Barockzeit und im '800 wurde eine Reihe von internen und externen Änderungen in S. Maria delle Grazie vorgenommen. Bei den mehrfachen Restaurationsarbeiten im 20. Jhdt. wurden diese aber wieder beseitigt und die authentische Struktur statisch konsolidiert.
Wie bei dem nahe gelegenen Dom ist auch hier, aufgrund der in der Vergangenheit vorgenommenen Veränderungen, der vierseitige Säulengang vor der Fassade verloren gegangen. Vor der Kirche sind die Grenzen dieser ehemaligen Veranda auf den Pflastersteinen markiert. Der Name Santa Maria delle Grazie geht auf die gleichnamige hölzerne Statue, die sich im linken Kirchenschiff befindet, zurück. Die "Cesa de le Grasie",(die Kirche der Grazie) auch "de le Femene" („der Frauen“) genannt, repräsentiert die Verehrung für jene Frau, die traditionell die Fürbitte zwischen den Menschen und dem Göttlichen symbolisiert.
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